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Das hermetische Raumschiff

(Veröffentlicht in der Zeitschrift 'Andromeda', Themenausgabe 'Alchemie')


Die Priesterinnen brachten den Widder herein. Das Tier blökte und stieß mit den Hörnern um sich, und Thorvald Kerr wich hastig in die Menge zurück. Als man das Opfer an ihm vorbeizerrte, wurde er fast von einem Huf getroffen. Die Leute um ihn herum sahen der Prozedur ohne großes Interesse zu, sie unterhielten sich über das schlechte Kantinenessen und die Neueinteilung der Arbeitsschichten. Jemand stieß ihm den Ellenbogen in den Rücken und entschuldigte sich mit einem gereizten Murmeln. Die ganze Prozession ähnelte nicht sehr den romantischen Vorstellungen, die Kerr zu Beginn der Reise von magischen Ritualen gehabt hatte. Eng gedrängt standen die Kolonisten in der kahlen Versammlungshalle des Schiffes, und der unaufhörliche Lärm aus dem Industriebereich zerrte an den Nerven. Durch die milchigen Fußbodenplatten aus Plastbeton konnte man schemenhaft das Treiben in der unteren Etage beobachten, den hektischen Arbeitsalltag eines Fabrik-Transporters.

Der Widder wurde mit zusammengebundenen Beinen auf einen Altarblock in der Mitte des Raumes gehoben. Allmählich verstummte die Menge, und die allgemeine Gereiztheit machte gespannter Aufmerksamkeit Platz. Kerr stand nahe genug, um zu sehen, dass die aufgesprühte Goldfarbe bereits vom Fell des Tieres herunterblätterte. Sie schwebte als glitzernde Wolke in der Luft und wurde gleich darauf von den Ventilatoren in der Decke eingesogen, zusammen mit dem verbrauchten Atem von neunzig erwartungsvollen Kandidaten. Auf wen würde das Los diesmal fallen? Wen würden die Priesterinnen des Hermes Trismegistos für eine Beförderung auswählen? Es hieß, wenn man erst zu den Priviligierten gehörte, bekam man sogar ein privates Zimmer mit eigenem Bad.

Auf der Erde war Wohnraum inzwischen selbst für die Mittelschicht zum Luxus geworden, und Kerr stellte es sich gleichzeitig faszinierend und erschreckend vor, ganz allein zu leben. Er stammte aus den Kuben, wo sich die kleinen, viereckigen Wohneinheiten wie verschachtelte Legosteine übereinandertürmten, und in jedem dieser Schuhkartons drängten sich mindestens ein halbes Dutzend Personen. Wenn ihn damals das Bedürfnis nach Einsamkeit überkommen hatte - eine Nacht ohne das Geschrei des Babys und die unterdrückten Geräusche aus dem Bett der Mitmieter - dann hatte er seinen Schlafsack ausgepackt und sich einen Platz in den verwinkelten Stockholmer Gassen gesucht. Die Kuben waren eine bürgerliche Gegend, und man brauchte keine Angst vor nächtlichen Überfällen zu haben. Später in seinem unsteten Leben hatte er noch an ganz anderen Orten gehaust, in den Slums von Hamburg und sogar in der B-Zone.

Wahrscheinlich war das der Grund, warum ihn das Emigrationsbüro der Alchemical.com als Bewerber akzeptiert hatte: Er konnte sich gut genug anpassen, um überall zurechtzukommen. Mit seinen knapp zwanzig Jahren hatte er schon als Bodypainter und Preisboxer gearbeitet, er hatte in einer illegalen Werkstatt Velo-Jumpers für Straßenrennen frisiert und in einer Kryo-Fabrik die Gesichter von Verstorbenen für den Familienaltar schockgefroren. Jetzt würde er eben Farmer werden. Die Werbe-Annoncen behaupteten, auf den Kolonien könne man tagelang keinem einzigen Menschen begegnen. Es gab viele Leute auf der Erde, die von solcher Abgeschiedenheit träumten. Aber nur wenige besaßen tatsächlich das psychologische Profil, um ein Leben außerhalb der Zivilisation zu ertragen. Kerr hatte in den Tests außergewöhnlich gut abgeschnitten - sogar was die Magie anging.

Die Firmen-Astrologin im örtlichen Emigrationsbüro war überraschend wissenschaftlich, kühl und effizient gewesen. Er hatte sich vor ihr ausgezogen und sich eingeredet, er sei in einer Arztpraxis, während sie ihn vermaß, das Muster seiner Leberflecken und seine Aura analysierte. Er hatte unter Eid ausgesagt, dass er noch jungfräulich war - allerdings mit Cyber-Erfahrung - und dann stundenlang gewartet, während sie sein Horoskop erstellte ...


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"Wählen Sie bitte elf Karten." Die Astrologin hatte ihm ein Tarot-Blatt entgegengehalten, und er war mit schlechtem Gewissen aus dem Halbschlaf aufgeschreckt, in den ihn ihre endlosen Berechnungen versetzt hatten. Es erschien ihm nicht besonders logisch, dass sein Schicksal von Planetenkonstellationen bestimmt sein sollte, die er bald um Lichtjahre hinter sich lassen würde, aber er hatte keine Fragen gestellt. Die Alchemical.com konnte täglich unter Tausenden von Bewerbern auswählen. Seine Emigration sollte nicht daran scheitern, dass er zu neugierig war. Stumm tippte er auf einige Karten in ihrer Hand, und die Astrologin versank wieder für lange Zeit in ihre Analysen. Dann geschah etwas Unerwartetes: Sie lächelte.

"Ich gratuliere Ihnen. Sie sind eindeutig ein Auserwählter."

"Ich kann zu den Kolonien fliegen?" Er musste sich verhört haben. Angenehme Überraschungen gehörten einfach nicht zu seinem Lebensstil. Der Emigrationsantrag war eine spontane und ziemlich verzweifelte Idee gewesen, nachdem ihm ein Gläubiger mit Tränengasschleuder aufgelauert hatte.

"Nach meinen bisherigen Tests sind sie mehr als nur ein schlichter Kolonist. Sie sind ein Auserwählter, wie ich schon sagte."

Anscheinend sollte er beeindruckt sein, aber er spreizte nur fragend die Hände. Über die alchemistischen Rituale an Bord gab es kaum mehr als vage Gerüchte, und er hatte es nicht für nötig gehalten, sich genauer zu informieren. Glücklicherweise war die Astrologin auf Ignoranz vorbereitet. Sie räusperte sich und spulte aus dem Stegreif eine Einführungsrede herunter. "Reisen über Lichtgeschwindigkeit wurden lange Zeit für wissenschaftlich unmöglich gehalten", dozierte sie. "2198 jedoch gründete Dr. Angela Gülgür die Alchemical.com und leitete damit ein neues Zeitalter der Menschheitsgeschichte ein. Ihre Forschungen basierten auf folgender Überlegung: Es wurde ein Antrieb für Raumschiffe gebraucht, eine Energie- oder Materieform, die nach den Kriterien der Physik nicht existieren konnte. Aber es gab eine lange vergessene Forschertradition, die sich der Herstellung genau so eines Stoffes verschrieben hatte. Gülgür knüpfte also an alchemische Methoden an, um den sogenannten ‘Stein der Weisen’ zu erschaffen. Die Kraftquelle unsere Schiffe besteht tatsächlich aus einer Materie, die nicht auf physikalischen Gesetzen beruht, sondern ... nun ja, nennen wir sie ruhig magisch."

Die Astrologin lächelte ihm vertraulich zu und ihr Tonfall wurde etwas persönlicher. Vielleicht würde sie jetzt endlich auf den Punkt kommen, der ihn selbst betraf. "Die hermetischen Künste beruhen auf einem ganzheitlichen Konzept", erklärte sie. "Der Alchemist braucht für die Herstellung des ‘Lapis Philosophorum’ nicht nur simple chemische Bestandteile, sondern auch weniger greifbare Grundvoraussetzungen. Wichtig sind spezielle Worte und magische Symbolhandlungen sowie eine spezielle geistige Aura. Und dafür brauchen wir Leute wie Sie. Um es einfach auszudrücken, die Schiffe funktionieren nur, wenn sie durch die Anwesenheit bestimmter Personen energetisch aufgeladen werden, die wir ‘Auserwählte’ nennen. Diese Personen müssen eine Vielzahl scheinbar irrationaler Kriterien erfüllen -"

"- zum Beispiel das Muster meiner Leberflecken?"

"Ja genau." Sie wirkte ein wenig verlegen. "Zumindest glauben wir das. Leider gibt sehr viele Traditionen, die zu den hermetischen Künsten in Beziehung stehen, von den Ägyptern bis zu den mittelalterlichen Mystikern, und wir wissen nicht hundertprozentig, welche davon wirksam sind. Um ganz sicher zu gehen, dass jemand zu den Auserwählten gehört, benutzen wir also einfach alle Methoden, die wir finden können gleichzeitig - und manche davon erscheint sogar mir ziemlich merkwürdig. Nach diesem ‘trial and error’-Prinzip hat sich immerhin schon herausgestellt, dass einige der überlieferten Rituale nicht funktionieren, zum Beispiel die Weissagung durch Handlesen."


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Dagegen funktionierte die Anrufung des Hermes durch ein Widder-Opfer offenbar ganz ausgezeichnet. Die Priesterinnen wühlten sich gerade durch die Eingeweide des Tieres, um anhand der Lage der inneren Organe zu bestimmen, wer von den Auserwählten heute benötigt wurde. In den letzten Tagen war das Raumschiff wieder merkbar langsamer geworden und schließlich unter Lichtgeschwindigkeit gefallen. Das geschah ungefähr alle zwei Wochen. Jedes Mal wurde die Versammlung einberufen, dasselbe blutige Ritual ausgeführt, und vier Kolonisten konnten sich ein Privatquartier im VIP-Bereich verdienen. Kerr drückte sich selbst die Daumen und stellte fest, dass er an Bord abergläubisch geworden war. Wie sollte man in dieser verrückten Welt aus Plastbeton und archaischen Ritualen auch sonst zurechtkommen? Leider gab es hier kein Holz, auf das er klopfen konnte.

Die älteste Priesterin erhob sich mit einer tropfenden Leber in der Hand und schaute in die erwartungsvolle Runde. "Ich bin erfreut, Ihnen mitteilen zu können", sagte sie in neutralem Behördentonfall, "dass wir das erste Kandidatenpaar für die katalytische Synthese gefunden haben. Ich bitte die Kolonisten Nummer 52 und 198, sich zum linken Antriebsaggregat zu begeben."

Kerr merkte, dass er die Luft angehalten hatte, und entspannte sich ein wenig. Er war enttäuscht, aber seltsamerweise auch erleichtert. Wahrscheinlich lag es an seiner Zeit in der B-Zone, die ihn gelehrt hatte, dass man umso mehr Ärger bekam, je deutlicher man aus der Masse herausstach. Der Gedanke, seine Nummer aus dem Munde der Priesterin zu hören, machte ihn ohne Grund nervös.

"... bitten den Kolonisten 137, sich am rechten Antriebsaggregat einzufinden", ertönte in diesem Moment ihre Stimme. Er hätte es wissen müssen. Wenn man zu intensiv über etwas nachdachte, dann passierte es garantiert.

Entschlossen verscheuchte er die lästige Paranoia und lächelte, während die umstehenden Bekannten ihm gratulierend die Hand schüttelten und wildfremde Leute ihm auf die Schultern klopften. Wahrscheinlich hofften sie, dass sein Glück durch die Berührung abfärbte. Er war nicht der einzige, der an Bord allmählich abergläubisch wurde. Seine Verkrampfung ließ nach, und er stellte sich vor, wie er tagelang unter seiner privaten Dusche stehen und dabei laute Pop-Arien singen würde. Mit energischen Schritten schob er sich durch die Menge, die wieder zu ihrer Arbeit im Industriebereich oder den engen Massenquartieren zurückströmte, und marschierte auf direktestem Wege zum rechten Antriebsaggregat.

Der Gang war relativ verlassen, nur eine junge Frau bewegte sich in dieselbe Richtung. Sie hatte Sommersprossen, blondes Haar und kam ihm merkwürdig bekannt vor. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis ihm klar wurde, warum. Sie sah aus, als hätte man sie aus seinem persönlichen Cyberprogramm kopiert; eine seiner Freundinnen für besondere Anlässe, keine billige Meatware. Anscheinend verstand das Hermes-Orakel wirklich etwas von Partnerwahl.

Eine Weile warfen sie sich gegenseitig verstohlene Blicke zu, bis die Frau den Anfang machte und sich vorstellte. "Ich nehme an, Sie sind Nummer 137? Tina Beckmann."

Sie gaben sich formell die Hand, und er nannte ebenfalls seinen Namen. Sie waren beide etwas befangen, und gingen eine Weile stumm nebeneinander her. Es gab Gerüchte darüber, warum der Stein soviel Wert auf sexuelle Unschuld legte, und tatsächlich hatte die Firmenastrologin am Ende seines Bewerbungsgespräches flüchtig von einer ‘Vereinigung des reinen männlichen und weiblichen Prinzips’ gesprochen. Man hatte diesen wichtigen Bestandteil der alchemistischen Schriften zuerst für symbolisch gehalten, (sie hatte etwas Kompliziertes über Schwefel und Quecksilber gesagt.) Aber nach langen Experimentreihen waren die Forscher zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anweisungen am besten funktionierten, wenn man sie wörtlich nahm.

"Schön, dass wir uns persönlich kennen lernen, bevor wir es miteinander treiben", sagte Tina Beckmann schließlich in die Stille und durchbrach damit - drastisch aber erfolgreich - die beiderseitige Verlegenheit.

Kerr musste lachen. Er entkrampfte sich und sagte galant, dass er sich gerne mit ihr auf dem Altar des Fortschritts opfern würde. Dann unterhielten sie sich über andere Themen, koloniale Landwirtschaft und die Federung der neusten Velojumpers. Kerr hatte sich kurz vor Abflug ein Adidas-Paar auf dem Schwarzmarkt besorgt, Tina bevorzugte anscheinend eine weniger sportliche Marke mit kürzeren Schrittweiten. Bevor sie Zeit gehabt hatten, sich in diesem Punkt zu einigen, waren sie auch schon am Ende des Ganges angekommen. Hier sollte also der geheimnisvolle Antrieb des Schiffes installiert sein. Sie waren beide gespannt, wie er aussah.


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Sie standen auf einer metallischen Reling rings um einen kreisrunden Kuppelbau und starrten in die Tiefe. Wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, entpuppte sich der Raum als das Innere einer riesigen Hohlkugel mit blankpolierten, spiegelnden Wänden. Die Halle war vollständig leer, keine magischen Gerätschaften, keine komplizierte Technologie. Aber von der Reling aus führte ein schmaler Steg in die Mitte der Halle, wo ein einsames Bett auf einer kleinen Plattform schwebte.

"Wenn wir da runterfallen, landen wir zwanzig Meter tiefer als Ketchup", stellte Tina sachlich fest.

Kerr war noch zu verblüfft, um überhaupt etwas zu sagen. "Das Ganze gefällt mir nicht", brachte er schließlich hervor.

"Wieso? Ich finde es ganz lustig. Sie haben sogar rote Seidenbettwäsche benutzt, fehlen nur noch die Räucherkerzen." Tina schnaubte.

Hinter ihnen waren Schritte zu hören. Sie drehten sich gleichzeitig um und sahen die oberste Priesterin auf sich zukommen. Sie war nicht mehr in ihre wallenden Gewänder gehüllt, sondern hatte sich einen praktisch geschnittenen Bodyskin aus Faserplast übergestreift. Anscheinend wollte die Firmenleitung diesen Teil der Zeremonie so sachlich wie möglich hinter sich bringen.

Kerr musterte die Priesterin neugierig. Er hatte ihr Gesicht noch nie unverhüllt gesehen. Es war sehr schön und sehr kalt, stellte er fest. Wie in der Kryokammer konserviert.

"Ich freue mich, Sie beide hier begrüßen zu können", sagte sie mit ihrer üblichen Förmlichkeit. "Soll ich Ihnen die Prozedur näher erklären?"

Kerr schaute erst auf sie, dann auf das Bett und sagte vorsichtig: "Die Prozedur?"

"So war das nicht gemeint." Sie errötete und wirkte dabei schon fast menschlich. "Ich wollte ihnen die alchemistischen Details erklären."

"Das wäre nett", half Tina ihr über die Verlegenheit hinweg. "Ich hatte nicht erwartet, hier nur einen leeren Raum zu sehen."

Die Priesterin nickte. "Das hier ist nicht die einzige Reaktionskammer. Die anderen liegen senkrecht über uns und würden wohl mehr Ihrer Vorstellungen von einem Schiffsantrieb entsprechen. Das ganze System ist von der Form her aufgebaut wie ein typischer alchemistischer Schmelzofen, nur in viel größerem Maßstab. Wenn durch die Zusammenführung des männlich-weiblichen Prinzips ein ausreichendes seelisches Energiepotential aufgebaut ist, wird damit eine Materietransformationen durchgeführt, die auf den obersten Maschinenraum abstrahlt und -"

"Ich würde lieber hören, ob es irgendwie gefährlich ist", unterbrach sie Kerr.

"Aber nein!" erklärte die Priesterin überzeugend schockiert. "Wir sind ein seriöses Wirtschaftsunternehmen. Gewisse Presseschreiber werfen uns vor, skrupellose Profitjäger zu sein. Aber ich sage ihnen: Ohne Alchemical.com würde die Menschheit niemals zu den Sternen gelangen. Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft unserer Spezies und sind bereit, dafür alle Opfer zu bringen, die -"

"Schon gut", sagte Kerr. "Das wollte ich nur wissen." Diese Propagandarede war nicht unbedingt geeignet, ihn zu beruhigen, aber was hatte er schon für eine Wahl?

Tina schien ebenfalls wenig beeindruckt. Sie fragte merklich kühler: "Gibt es einen Zeitplan, den wir beachten müssen?"

"Nein, der Rest der Prozedur richtet sich ganz nach den Auserwählten. Unsere Techniker werden dafür sorgen, dass die Energieübertragung auf jeden Fall funktioniert. Also, wenn sie bereit sind, dann werde ich jetzt gehen und Sie beide allein lassen." Die Priesterin drehte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten und schloss die Tür in der Kuppelwand fest hinter sich.

"Sieht so aus, als könnten wir es nicht länger herauszögern", sagte Kerr. "O.k., keine Panik. Schließlich sind seit Beginn der hermetischen Raumfahrt schon Hunderte von Auserwählten in derselben Situation gewesen. Wir werden es überleben."

Tina nickte wortlos. Sie gingen auf die Plattform in der Mitte der Halle zu, zogen sich aus und legten sich hin. Dann begannen sie recht mechanisch, die üblichen Standartbewegungen auszuführen. Die Umgebung war nicht gerade geeignet, romantische Gefühle zu erwecken. Kerr konnte dennoch spüren, was die Priesterin mit einem Aufbau seelischer Energien gemeint hatte. Möglicherweise bewirkte die Metallkugel, in der sie sich befanden, eine Art Rückkopplungs- oder Echoeffekt. Ein elektrisches Kribbeln lief durch seinen ganzen Körper, und blaue Funken flackerten über Tinas Haare. Sie breiteten sich über die metallische Plattform aus, liefen in sprühenden Kaskaden den Steg entlang ...

"Das ist unglaublich!" murmelte Tina.

"Unheimlich ist das bessere Wort", knurrte Kerr. "Wenn ich nicht ständig an dieses private Badezimmer denken würde, wäre ich schon längst hier weg."

"Die Priesterin hat gesagt, es passiert uns nichts."

"Ja, klar. Alchemical.com ist ein Wirtschaftsunternehmen, und sie haben mit diesem Schiffsantrieb eine Goldgrube entdeckt. Glaubst du, die würde es kümmern, wenn ein paar Kolonisten mit Verbrennungen in der Krankenabteilung landen?" Seine nervöse Wut schien die Elektrizität in der Luft nur noch anzuheizen, die blauen Funken fegten in knisternden Entladungen über sie hinweg. Jetzt hatten sie die Wände erreicht, laut zischend raste ein blasses, flackerndes Licht über die gesamte Kuppel, pulsierte im Rhythmus ihrer Bewegungen. "Jetzt!" rief er, und Tina grub ihm ihre Fingernägel in den Rücken. Sie bäumten sich auf, einen kurzen Augenblick lang waren sie der Mittelpunkt in einem grellen Strahlenkranz aus Plasma-Entladungen, der Moment der Transfomation ...


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Dann war das Paar verschwunden. Ein seltsamer geometrischer Körper aus quecksilberglänzendem Material pulsierte an seiner Stelle. Das Schiff machte einen plötzlichen Sprung nach vorne. Es tauchte in die Hyperspeed ein und ließ den Normalraum schwarz und leer hinter sich zurück.