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Das Dämmerungsvolk

(Veröffentlicht in der Zeitschrift 'Solar-X' Nr.131, November 2000)


Der Schildträger rannte in gleichmäßigem Schritt über die Ebene, das gelbe Steppengras brach unter seinen Füßen. Er hatte den Blick starr auf den Boden geheftet, und die stundenlange, eintönige Bewegung, der rhythmisch schwankende Anblick der Erde vor seinen Füßen hatte ihn in einen angenehmen Trancezustand gewiegt. Die Landschaft um ihn herum war zu einem Gefühl schläfriger Unwirklichkeit verschwommen, die Halbsonne brannte prickelnd auf seinem Gesicht. Seine Gefährten folgten ihm in einer breit gefächerten Formation, Linker und Rechter Speerwerfer an seiner Seite, die Lassos, Messer und Pfeilbläser in gestaffelten Reihen hinter ihnen. Der Boden vibrierte unter dem gleichmäßigen Rythmus ihrer Schritte. Das Geräusch war hypnotisch wie das Pochen des Blutes, wie der dumpfe Klang der Burdu-Trommeln.

Der tiefe Ton der Trommeln schien noch immer durch die Erde nachzuhallen. Er begleitete sie auf ihrer Jagd, und Schildträger sah in schläfriger Zeitlosigkeit die Bilder der Zeremonie vor sich aufflammen. Flackernde Gestalten wanderten in roten Schatten über das Innere seiner Augen:

Ein Feuer brannte hoch in der Nacht. Das grausame Auge des Tages hatte sich geschlossen, und nur die blaue Göttin warf Helligkeit auf ihre sterblichen Kinder. Die Frauen hatten ihre perlengeschmückten Gewänder ausgegraben. Nun erhob sich die Oberste Priesterin aus ihrer kühlen Lehmgrube und hielt den Jagdschild hoch, so dass das Gesicht der Göttin sich in seiner blanken Oberfläche spiegeln konnte. "Aus ihrem Leib sind wir gekommen", rief sie in das dröhnende Pochen der Burdu hinein, "und zu ihr werden wir zurückkehren, wie der Schild uns verspricht. Seht das Zeichen!" Sie senkte den Schild. Sie alle konnten die Buchstaben lesen, die groß und rot, in weit sichtbarer Schrift das Mysterium der Dame Terra verkündeten: Space Project, Mission 82.

- - - - -

Schildträger rannte über die Ebene, und die näherkommenden Berge legten sich wie eine schwarze Wand vor den Himmel. Linker Speerwerfer hielt gähnend die Hand vor den Mund. Der Reflex pflanzte sich durch die Reihen fort, es war Zeit für eine Rast. Nur die Frauen konnten eine ganze Umdrehung hindurch wandern, ohne müde zu werden. Sie verfolgten die Herde, trieben sie gegen die Bergkette. Wenn die Männer ankamen, würde das Schlachten beginnen.

Schildträger warf seine Waffen weit sichtbar zur Seite. Die Jäger ließen sich erschöpft zu Boden fallen und gruben sich in die staubige Erde ein, mehr aus Gewohnheit als Notwendigkeit. Es war ein Tag der Halbsonne, die Göttin stellte sich schützend vor ihre Kinder, und das weißglühende Auge konnte Krankheit und Tod nur gegen ihren gleichgültigen Rücken werfen. Einer der Pfeilbläser sang ein eintöniges Lied: ‘Nie bin ich etwas anderes gewesen, als das Rohr, mit dem ich ziele. Nie will ich etwas anderes sein, als das Rohr, mit dem ich treffe. Ich will zufrieden sein, Herrin.’

Wie als Antwort lief ein leichtes Zittern durch die Erde.

Schildträger runzelte die Stirn. Er schaute zum Himmel auf, fragend, witternd. Von Osten kommend lief ein fauchendes Geräusch durch die Luft, und er fühlte, wie sich jedes einzelne Haar seines Rückenfells aufstellte. Ein seltsames Gefühl durchlief seinen Körper, als würde alle Schwere aus seinen Knochen fließen. Das Licht veränderte sich und flackerte fahl in einer kränklichen Tönung.

Ein scharfer Ruck ging durch die Erde.

Schildträger atmete schneller. Er wusste, was geschehen würde. Es war in den Liederchroniken verzeichnet. Er schrie eine Warnung, und gleich darauf bäumte sich der Boden auf, die Sonne fiel aus ihrer Bahn. Eine Sturmwand raste über ihn hinweg, die Himmelsrichtungen falteten sich ineinander und stürzten ins Leere. Sein Ortsinstinkt flatterte umher wie ein Kompass ohne Magnetfeld.

Dann war alles vorbei, genauso plötzlich, wie es begonnen hatte.

Schildträger stand auf. Er sammelte seine Waffen wieder ein und sagte sachlich, ohne daß seine Stimme zitterte: "Wir brauchen eine Priesterin, um die Chronik zu singen. Wir werden die Frauen einholen, so schnell wir können." Er hob den Schild als Zeichen der Befehlsgewalt und sah Erleichterung in den Gesichtern des Rudels. Er zog den Waffengurt fester, dann lief er mit ihnen seiner Angst davon, auf die Berge zu.



*

Morgaine Haller war Terranautin. Es war ihr Traumberuf, solange sie denken konnte. Wenn sie sich an ihre Kindheit erinnerte, sah sie eine kleine Mädchengestalt vor dem riesigen Wohnzimmerfenster stehen und in den Himmel starren. Dort oben in der fahlblauen Leere brannte die Sonne, vor der man sich im Schatten verbergen musste, die ihre Haut noch schwärzer und ihr Haar noch blonder färbte. Und im lockenden, gefährlichen Licht des Tages trieb strahlend eine zweite Erde. Der Planet hing dort gewaltig und schwerelos im blauen Nichts, widersinnig wie ein träge schwebender Marmorblock ... Sie hatte inzwischen eine Entdeckung gemacht: Aus der Nähe betrachtet war Terraluna sehr viel weniger romantisch.

Sie schlug sich ein säurespritzendes Insekt von der Stirn und versuchte zur gleichen Zeit, sich aus einem Schlingpflanzengestrüpp loszureißen. Schon am Nachmittag der Landung hatte sie Biotop 57 auf den Namen ‘Der fleischfressende Dschungel’ getauft. Bald darauf hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben gewünscht, sie hätte sich an die Geburtsplanung ihrer Eltern gehalten und wäre Pianistin geworden. Stattdessen war sie auf die exzentrische Idee gekommen, bei der Firma anzuheuern und sich zur Überlebenskünstlerin ausbilden zu lassen. Nun ja, immerhin hatte es funktioniert: Die drei hormongestylten Muskelmänner aus ihrem Team waren tot, und sie, die Kleine mit den Klavier-Genen, lebte immer noch.

Fragte sich nur, wie lange.

Pedro hatte es gleich am ersten Tag erwischt. Ein Erdloch hatte ihn mit einem lauten Schmatzen eingesogen, und was immer sich darin befand, hatte sich von den Elektroschocks seines Schutzanzugs wenig beeindrucken lassen. Gelison war irgendwann einfach verschwunden. Sie wusste bis heute nicht, wie und wo der Dschungel sich über dieses Frühstückshäppchen hergemacht hatte. Und Fred ... Über Fred wollte sie jetzt wirklich nicht nachdenken.

Direkt vor ihrer Nase seilte sich etwas aus den Bäumen ab, das wie eine blau gepunktete Tulpenblüte aussah. Nach ihren bisherigen Erfahrungen war sie sicher, dass es Reißzähne besaß. Auf Terraluna galt einzig und allein das Gesetz der Evolution, ‘Fressen und Gefressenwerden’. Nicht sehr überraschend, denn genau zu diesem Zweck war der Mond entworfen worden: um möglichst schnell einen möglichst exotischen Genpool zu entwickeln. Er hatte zwar eine Atmosphäre aber kaum einen Strahlenschutz, seine Oberfläche war aufgeteilt in abgeschlossene Lebensräume mit kleinen Populationen, berechnet nach dem Modell der Galapagosinseln. Gebirgszüge zerteilten das Land, sie waren so regelmäßig wie die Hochhausreihen von Manhattan, und aus der Entfernung sah der Mond aus wie ein riesiges Schachbrett. Aber trotz all dieser Voraussetzungen war Morgaine noch nie in etwas derartiges Fremdartiges hineingestolpert wie in Biotop 57.

Die Evolution hatte sich hier mit einer Geschwindigkeit vorangefressen, die viele Spezies in etwas vollkommen Außerirdisches verwandelt hatte. Morgaine wartete geradezu darauf, dass eine Horde Aliens aus den Bäumen fiel, um sie dem großen Gott Bk3pt zum Fraß vorzuwerfen. Im Augenblick musste sie allerdings nur mit einer bissigen Tulpe fertig werden.

Das gleiche hatte sie auch mit Fred gemacht. Sie hatte ihm die Kleidung ausgezogen, ein paar Körperproben entnommen und sie mit einem Gefahrenaufkleber versehen an das Labor geschickt. Er hätte die Krankheit unmöglich überleben können. Sie versuchte, das Bild seines mit gelben Blasen überzogenen Gesichts aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Wenn die Firma auch nur ein Prozent der hier gesammelten DNS auf ihren Namen patentieren ließ, dann konnte sie sich eine Kleinstadt kaufen. Biotop 57 war eine Hölle, aber es würde sie unverschämt reich machen.

Entschlossen marschierte sie weiter, entfernte sich mit jedem Schritt von der Gebirgskette, auf die das Team die ganze erste Woche zugesteuert war. Man hatte ihnen befohlen, nach spätestens zwölf Tagen auf dem Bergplateau zu sein, um sich ein Shuttle zu rufen. Aber nun, da der Rest der Truppe ihr nicht mehr auf die Finger sah, hatte sie nicht vor, sich daran zu halten. Sie vermisste den Schutz ihrer Kollegen nicht besonders, eigentlich war das Team nie mehr gewesen als ein zusammengewürfelter Haufen Einzelkämpfer. Und was konnte nach zwölf Tagen schon passieren, das nicht gleich in den ersten Minuten hätte schiefgehen können?

Mit diesem Gedanken hob sie ihren Fixierer, um ein hasenähnliches Tier zu lähmen, das sich neugierig vor ihr aufgestellt hatte, als plötzlich der Erdboden zu zittern begann. Sie runzelte die Stirn und machte eine Bemerkung an das Protokollgerät in ihrem Kieferknochen. Dann lief ein seltsames Geräusch durch die plötzliche Stille. Sie wandte den Kopf, es kam von Osten, und es wurde immer lauter ...



*

Die Dämmerung war vorüber und eine gleißende Vollsonne stand am Himmel, als das Rudel endlich die Bergkette erreicht hatte, an deren Wand die Frauen lagerten. Niemand dachte daran, sich einzugraben, obwohl die Hitze in flimmernden Luftspiegelungen über dem verdorrten Gras lag. Die Priesterin hatte ihre astronomischen Instrumente hervorgeholt und beobachtete fatalistisch den ungewohnten Tanz der Himmelskörper, das weiße Auge, die blaue Göttin und die tote Schwester. Eine grausame Zeit stand ihrem Volk bevor. Nach Generationen war wieder ein Wandel eingetreten, und wer wusste, wie ihre Welt danach aussehen würde?

Sie hob die Hände, und als alle sich ihr zugewandt hatten, begann sie die Worte der Chronik zu zitieren, die von den früheren Stufen ihrer Metamorphose erzählte. Von den Überlebenstechniken, die jede Kultur im Augenblick ihrer Zerstörung an die nächste weitergegeben hatte ... "Vielleicht werden unsere Enkel Felder pflügen. Vielleicht werden unsere Enkel in den Zweigen hoher Bäume leben. Vielleicht wird unsere Welt ein kaltes Meer und unser Heim ein Dorf aus Flößen. Dies ist die Kunst der Bauern: Nehmt ein Korn und grabt es in die Erde, nehmt von der Ähre nur die besten Körner -"

Es war beruhigend, ihr zuzuhören, dachte Schildträger. Der monotone Singsang ihrer Stimme, der Werkzeuge, Bauanleitungen, Arbeitstechniken aufzählte und damit versprach, dass die Menschheit auch diesmal überleben würde. So wie sie immer überlebt hatten, jeden mörderischen Zyklus, über hunderte von Zeiten.

Es dauerte fast den ganzen Tag, bis die Priesterin ihr Lied beendet hatte. Als der letzte Ton verklungen war, erhob sich Schildträger gleichzeitig mit dem Rest des Rudels und ging auf die Bergwand zu. Sie begannen den Hang hinaufzuklettern, in einem langen, geordneten Zug. Jeder wusste, was bei einem Wandel zu tun war. Sie würden auf den vier Plateaus, an denen die Gebirgsketten sich kreuzten, auf die Völker der umliegenden Täler treffen und ihr Erbe mit ihnen vereinigen.

Tatsächlich kam ihnen auf dem Bergkamm bereits die erste Abgesandte entgegen. Die Frau hatte ihren ganzen Körper in einen geschlossenen Anzug gehüllt. Schildträger nahm an, dass ihr Volk zu kälteempfindlich für größere Höhen war. Ihr langes, fast weißes Kopfhaar wehte im Wind. Ihm gefiel der Gedanke, dass einige seiner Kinder dieses eigenartige Erbe in sich tragen würden ...

Morgaine wäre alles andere als begeistert gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass die exotische Gestalt, der sie so plötzlich gegenüberstand, sie bereits in seinen Stammbaum einplante.



*

Die Terranautin hatte bei der Katastrophe den größten Teil ihrer Ausrüstung verloren. Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als die Expedition aufzugeben. Sie hatte der Bodenstation durch das Protokollgerät ihren gesamten Vorrat an Beleidigungen zugeschrien, aber was nütze das? Niemand in der Firma wäre je auf die Idee gekommen, eine Mitarbeiterin der Sicherheitsstufe 2 darüber zu informieren, dass Terraluna eine neue Rotationsbahn erhalten sollte. Und so hatte die Druckwelle der künstlich verlangsamten Umdrehungsgeschwindigkeit sie einen Abhang hinabgefegt, ihr beinahe das Genick gebrochen und sie unter einem Gewirr ausgerissener Bäume zurückgelassen. Glücklicherweise war sie durch ihren Schutzanzug vor den schlimmsten Auswirkungen der Biotop-Reorganisation bewahrt worden. Aber die Waffen, die Detektoren, die Medikamente und alles andere befand sich nun in einer meterdicken Masse aus toten Pflanzen und schlammiger, aufgewühlter Erde.

Es hatte zwei unvergesslich grässliche Tage gedauert, bis es ihr gelungen war, sich wenigstens bis an die Gebirgswand durchzuschlagen. Sie haderte noch immer laut mit ihrem Schicksal, während sie sich die letzten Meter zum Gipfel hinaufkämpfte. Dann blieb ihr das letze Wort im Halse stecken. Sie sah eine Gruppe von Menschen am Rand des Bergkamms auftauchen, deutlich abgehoben gegen den klaren Mittagshimmel.

Terraluna hatte menschliche Bewohner ... Das war eine ungeheuerliche Entdeckung! Es musste sich um die Nachfahren eines verunglückten Schiffes handeln, die man hier ihrem Schicksal überlassen hatte. Vermutlich hatte sie ein uraltes Langzeitexperiment mit menschlichem Erbgut wiederentdeckt! Wenn sie sich diese Leute patentieren ließ, dann würde sie das sogar für die Tortur der vergangenen Tage entschädigen. Ihre genetische Struktur musste absolut fremdartig sein. Außer den Gesichtern waren ihre Körper vollständig mit weichem, flaumigen Fell bedeckt, wie der Pelz eines Embryos im vierten Schwangerschaftsmonat.

Der Sinn dieser Regression war offensichtlich. Es musste die Hautkrebsrate um mindestens die Hälfte reduzieren. Morgaine schaute auf ihre eigenen schwarzen Hände herunter. Alles, was man auf der Erde bisher gegen die UV-Strahlung gefunden hatte, war negroide Hautpigmentierung. Mit ein bisschen Werbung könnte sich dieses fremde Gen zu einem echten Verkaufschlager entwickeln. Sie sah schon die Reklametafeln vor sich: ‘Man trägt wieder Pelz.’ Noch dazu wirkte diese Spezies gar nicht unattraktiv. Das männliche Wesen vor ihr trug als einzige Kleidung einen Waffengurt und ein Paar Lederschuhe, und das kurze, sandfarbene Fell gab seinem Körper eine leopardenhafte Eleganz. Er lächelte sie mit blitzenden weißen Zähnen an und gestikulierte in Richtung des Landeplateaus. Dann marschierte er davon, offenbar überzeugt, dass sie ihm folgen würde.

Diese unspektakuläre Reaktion war nicht unbedingt, was sie von einem Erstkontakt erwartet hatte. Aber es entsprach ihren Plänen, und so ließ sie sich bereitwillig von der Gruppe umringen und sanft in Richtung der Hochebene drängen. Dabei flüsterte sie unaufhörlich biologische Daten in ihr Protokollgerät.



*

Es dauerte nicht allzu lange und das Plateau lag vor ihnen. Ein kreisrunder Platz in der Mitte bestand aus blankem Stein, der Rest der Ebene war mit einem dünnen Wald aus birkenähnlichen Bäume überzogen. Schildträger stellte fest, dass das Volk der Malu schon vor ihnen den Treffpunkt erreicht hatten. Wie eine grasende Gazellenherde kamen sie langsam durch die Baumlandschaft gezogen und schauten mit träumerischer Gleichgültigkeit auf die Gruppe der Neuankömmlinge. Ihre Augen waren groß und dunkel, ihre schlanken Körper schienen eigenartig biegsam, die ganze Herde befand sich in ständiger sanfter Bewegung.

Schildträger wandte sich der Frau an seiner Seite zu, deren Erbe ihm besser gefiel. Er berührte sie auffordernd, presste seinen Mund an ihren, aber sie wehrte ihn ab. Er war überrascht, trotzdem wich er mit einer entschuldigenden Verbeugung zurück. Die Völker hatten verschiedene Sitten, und das war gut so: Nur in der Vielfalt lag ihre Chance zu überleben.

Wenn das Land vom Wandel erfasst wurde, dann konnten am ehesten die Mischlinge der Veränderung standhalten, das hatte die Erfahrung gelehrt. Gemischte Kinder waren stärker, vielseitiger, sie konnten sich in völlig neue Richtungen entwickeln. Am Ende würde immer das Erbe sich durchsetzen, das am besten geeignet war, in der fremdgewordenen Umgebung zu überleben.

Da die bleichhaarige Frau noch nicht bereit zu einer Paarung war, machte sich Schildträger auf die Suche nach einer anderen Partnerin, und er brauchte nicht lange zu warten. Eine der Malu kam witternd unter den Bäumen hervor und drehte mit der typischen langsamen Grazie ihrer Herde den Hals nach ihm um, bis sich das Gesicht fast über dem Rücken befand. Dann schmiegte sie sich an seinen Körper und begann, auffordernde Gebärden mit der Hüfte zu machen. Dabei verlor ihr Blick nichts von seiner tranceartigen Gelassenheit.

Schildträger atmete den leicht bitteren Geruch ein, der ihrem Körper entströmte. Es war ein angenehmer Duft, und was sie mit ihm anstellte, war nicht weniger angenehm. Es tat ihm beinahe leid, als sie nach wenigen Minuten wieder aufstand und sich gleichgültig ihren Bäumen zuwandte. Ohne sich noch einmal umzusehen, kletterte sie den nächstliegenden Stamm empor und begann mit stoischer Ruhe, die Birkenblätter abzuweiden.



*

Morgaine hatte sich währenddessen in die Mitte des betonierten Landeplatzes gestellt und das Signal gesendet. Glücklicherweise brauchte sie nicht lange auf Antwort zu warten.

Eine silberne Transporteinheit fiel lautlos aus dem Himmel herab. Nach ihrer Flugbahn zu urteilen wurde sie von einem Bodenpiloten ferngesteuert. Morgaine gab die Anweisung, dass sie ein paar Probeexemplare der beiden Völker für die Labors brauchte, und die Maschine eröffnete gehorsam das Feuer. Zwei Männchen und zwei Weibchen jeder Sorte fielen getroffen zu Boden, die anderen flüchteten in den Birkenwald. Morgaine sammelte die wertvollen Körper auf und trug sie vorsichtig in den Kühlraum. Sie waren unterernährt und nicht besonders schwer.

Zufrieden nahm sie Kontakt mit der Bodenkontrolle auf, um zu melden, dass sie bereit zum Abheben war. Sie schnallte sich an ihrem Sitz fest, legte den Sicherheitsschalter um - und gleich darauf traf sie ein elektrischer Schlag aus der Rückenlehne, der ihren Kopf nach hinten riss und schwarze Striemen über ihren Rücken brannte. Durch einen Nebel schmerzender Unwirklichkeit fühlte sie, wie ein Wartungsroboter sie losschnallte, sie den Metallgang entlangschleifte und aus der Türluke warf. Dann hob die Transporteinheit hinter ihr ab, genauso lautlos, wie sie gekommen war.

Sie hätte wissen müssen, dass die Firma die Patentrechte mit niemandem teilen würde.

Mit flüsternder Stimme schrie sie Verwünschungen in ihr Protokollgerät, bis ihr Kehlkopf versagte und der Himmel schwarz wurde. Dann schloss eine haarige Hand sanft ihre Augenlider, und ihre letzten Gedanken waren: ‘Verdammt, als Pianistin wäre mir das nicht passiert.’


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