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Paradiesvögel

6. Platz beim Kurd Lasswitz-Preis 2001


"Sie werden es nicht glauben", sagte mein Alien und kam mit würdevoll gespreizten Schwanzfedern vom Fenster zum Wohnzimmersofa gestelzt: "... aber das Rathaus ist gerade verschwunden."

"Wie schön", sagte ich und konzentrierte mich auf meine Zeitung. Es ist nicht immer leicht, mit einem Phönix zusammenzuleben. Seine Spezies hat eine wirklich fremdartige Vorstellung von Humor.

Ich hatte Harry zu mir genommen, gleich nachdem meine Ehe an einer siebzehnjährigen Blondine gescheitert war, und ihm auf diese Weise zu einer Greencard verholfen. Laut Regierungsbeschluß ist jeder Phönix 'aufgrund seiner rücksichtslosen Individualität eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden' und bekommt ohne menschlichen Vormund nicht einmal ein simples Kurzzeitvisum. Also hatte sich Harry entschlossen, eine Annonce aufzugeben:

"Abenteuer-Tourist sucht weibliche Einheimische zwecks Prägung, Treue auf Lebenszeit garantiert."

Haben Sie auch schon von all den absonderlichen Methoden gehört, mit denen man angeblich einen Phönix auf sich prägen kann? Jungfrauen bei Vollmond, Rituale an einsamen Straßenkreuzungen ... Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten: In Wahrheit ist die Prägung nicht mysteriöser als bei einem Gänseküken. Der Immigrant wird in ein leeres Zimmer geschickt, dort mit einer Duftwolke aus Pheromonen besprüht, und das erste zweibeinige Wesen, das danach durch die Tür kommt, hat ihn ein Leben lang am Hals.

In diesem Fall war das also Karen Feldmann, frisch geschiedene Spezialisten für häusliche Behaglichkeit. Wahrscheinlich hatte mich der Gedanke fasziniert, daß von nun an jemand anders den Staub wischen würde.

Womit ich auf keinen Fall gerechnet hatte, war ein zwei Meter großes Gänseküken, das mit seinen Perlmuttflügeln die Zeitungen von meinem Wohnzimmertisch fegte und dabei 'Rathaus, Rahahahthaus' trällerte. Harry ist einige Jahrhunderte älter als ich, aber er besitzt die entnervende Begeisterungsfähigkeit eines Fünfjährigen und ebensoviel Sinn für angemessenes Benehmen. Hatten Sie schon einmal das Bedürfnis, einen Wahlhelfer der Volksnahen Technokraten ins Bein zu beißen? Nun ja, vielleicht hatten Sie das tatsächlich, aber deshalb würden Sie ihn nicht von seinem Infostand bis zur nächsten U-Bahn-Station verfolgen.

"Niemand kann einfach so das Rathaus wegzaubern", erklärte ich schließlich resigniert.

"Bei der Ehre meiner Brutmaschine!" widersprach Harry mit melodramatischer Baßstimme. Die langen Stacheln in seinem Rückengefieder sträubten sich, bis er die Form einer explodierenden Pusteblume hatte. Harry sieht hinreißend aus, wenn er beleidigt ist. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm endlich zu glauben.

Sein Adlerschnabel packte meinen Ärmel, und er schleppte mich ans Fenster, von wo aus wir einen guten Blick über die Hochhausdächer hatten. Dort, wo eigentlich der Regierungssitz der Vereinigten Volksparteien stehen sollte, befand sich nichts weiter als eine kleine, grüne ...

"Eine kleine, grüne Wolke??"

"Vermutlich waren es die Grünen", sagte Harry. Habe ich schon erwähnt, daß er eine merkwürdige Vorstellung von Humor besitzt?

Obwohl der Gedanke an sich gar nicht so abwegig war. Die Außerparteiliche Opposition hält einen zweiten Rückfall in die Anarchie für das beste Mittel gegen unsere Form der Zivilisation: Essen vom Fließband, Wohnen in Einheitsblocks, und bitte benehmen Sie sich möglichst unauffällig. Bei näherem Nachdenken fielen sogar mir eine Menge guter Gründe ein, unsere versammelte Politikerschaft in Rauch aufgehen zu lassen. Zum Beispiel das zehn Meter große Werbeplakat, das in blinkenden Neonfarben vom Dach des benachbarten Hauses aus herüberstrahlte: '97,2 % lieben Präsident Belanev! Wählen auch Sie eine Fraktion der Vereinigten Volksparteien!! VVP, für glückliche Menschen in einer glücklichen Welt!!!' Diese Schild stand ganz oben auf meiner persönlichen Haßliste.

Natürlich glauben die meisten Leute tatsächlich, die Erde sei eine Art Paradies. Und vielleicht haben sie sogar recht damit ...

Ich weiß nicht, wie gut Sie sich mit Geschichte auskennen? Es gab einmal eine Zeit, da begann man ein Gespräch unter Fremden, indem man als erstes seinen Namen und als zweites seine Berufsbezeichnung nannte. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hatte tatsächlich jeder eine Arbeit. Man wurde dafür bezahlt. Dann starben die Berufe einer nach dem anderen aus, und am Ende überrannten die KI-Computer den Dienstleistungssektor.

Man konnte theoretisch alles produzieren, was die Menschheit brauchte, phantastische medizinische Geräte, Fließbandware, unbegrenzte Mengen an Hightech. Aber es gab niemanden mehr, der es hätte kaufen können. Anstatt sich zurückzulehnen und ein Leben im Schlaraffen-land zu genießen, versuchte jeder krampfhaft, neue Arbeit zu erfinden, um die tägliche Tütensuppe zu bezahlen. Eine ziemlich absurde Vorstellung.

Also versank die Welt in der Großen Anarchie, die seitdem von der APO als Patentlösung für 'festgefahrene Zivilisationen' betrachtet wird. Es gab Aufstände und Plünderungen, Regierungen wurden gestürzt, die Wirtschaft brach zusammen ... und am Ende schafften die VVP das Geld ab.

"Können wir zum Rathaus fahren, ja, ja?" platzte Harry in meine Gedanken hinein. Er wurde vor Aufregung hellblau und kippte steif wie ein Brett auf den Fußboden. Ein geprägter Phönix hat eine ganz eigene Art, seine Wünsche bei Frauchen durchzusetzen, und ich übereilte mich nicht mit meinen Wiederbelebungsversuchen. Bisher ist er immer von selbst aufgewacht.

Zwanzig Minuten später befanden wir uns, wie nicht anders zu erwarten, auf dem Platz des Friedens.



*

Wir standen am Rande einer von den üblichen Hochhäusern umgebenen Marmorebene und starrten interessiert auf das Nichts, das sich vor unseren Augen ausbreitete. Der größte Teil der Hauptstadt-Bevölkerung hatte sich bereits hier versammelt, ein wenig Abwechslung zum täglichen Fernsehprogramm war immer willkommen. Mir schoß der Gedanke durch den Kopf, daß es sich vielleicht nur um einen Werbegag der Regierung handelte, eine holographische Projektion. Die VVP setzen gerne das alte römische Prinzip 'Brot und Spiele' ein, um das Volk bei Laune zu halten.

"So etwas sieht man nicht alle Tage", sagte der Mann neben mir und wischte sich die dreckigen Hände an seinem Overall ab. Er war jung, mit abrasierten Augenbrauen und geflochtenen Haaren. "Eigentlich bin ich gerade zum Gärtnern im Stadtpark abkommandiert, aber es gibt Dinge, die kann man sich einfach nicht entgehen lassen." Er reichte mir die Hand, ich schaute erst etwas überrascht darauf und dann schüttelte ich sie. Angesichts der versammelten Einheitsbürgerschaft um uns herum wirkte seine Unkonventionalität angenehm erfrischend.

"Hallo, ich bin Karen. Haben Sie keine Angst, daß man Ihnen die VisaCard entzieht?"

Das Arbeitsamt verteilte die Menschenjobs gleichmäßig auf die gesamte Bevölkerung, und man wurde kaum öfter als einmal im Jahr einberufen; aber für die Dauer des Arbeitsdienstes sollte man seine Aufgabe lieber ernst nehmen, wenn man seine VisaCard Für Unbegrenzte Bürgerrechte behalten wollte: beste medizinische Versorgung, Selbstbedienung in den Einkaufshallen ...

Er zuckte mit den Schultern. "Wie es aussieht, hat die Regierung im Augenblick ganz andere Probleme."

Wir hatten uns mittlerweile bis an die Absperrung geschoben, die einige eifrige Ordnungsdienstler um das Nichts in der Mitte aufgestellt hatten. Eine gähnende Leere, wo sich eigentlich die Metallstreben der New Science-Etagen erheben sollten. "Es gibt ein Gerücht, daß es ein Kausalitätsunfall war", sagte mein Nachbar und erklärte auf meinen verständnislosen Blick hin: "Ich beschäftige mich in der Freizeit mit Kombinierter Quantenforschung."

"Nun, mit irgend etwas muß man ja die Zeit totschlagen. Ich habe einen Phönix. Harry? Harry, komm doch mal her und stell dich vor!"

Ein langer Hals erschien in der Mitte der Menschenmenge und arbeitete sich in wilden Zickzacksprüngen bis zu unserem Standpunkt vor. "Es ist eine Freude, Sie zu treffen", sagte Harry mit zeremonieller Höflichkeit.

"Ganz meinerseits", erwiderte mein neuer Bekannter: "Es ist immer eine Freude, einen außerirdischen Fachmann zu treffen, der eindeutig weiß, was er tut." Und dann grinste er plötzlich von einem Ohr zum anderen.

"Ich habe eine Schwäche für Kausalitätsunfälle", erklärte Harry bescheiden.

.....!

Haben Sie schon einmal das Gefühl gehabt, daß die Zeit stehenbleibt? Ein Gefühl wie die Zeitlupe im Kinothriller, wenn die Kugeln ganz langsam durch einen Körper fetzen und man lautlos zentimeterweise zu Boden taumelt? Irgendwann kommt man dann auf dem Pflaster an und hört sich selbst mit stumpfer Stimme murmeln: "Ich habe die Vormundschaft für einen Agenten der APO ... die Regierung wird mich in ein Erziehungslager stecken ... kann mir jemand erklären, warum ausgerechnet ich auf diese schwachsinnige Annonce ..."

"Was für eine Regierung?" fragte Harry.

Und damit hatte er auch wieder recht.



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